Der Blindseetrail ist ein Tiroler Mountainbike-Schmankerl. Dort findet sich alles für ein kleines Abenteuer: Ein sich im Schwierigkeitsgrad langsam steigernder Trail, die ein oder andere Schlüsselstelle – und eine imposante Alpenkulisse. Und als Grande Finale wartet der türkisgrüne Blindsee.

Mein Wecker zeigt 5:30 Uhr. Es ist kühl und neblig. Noch. Der Wetterbericht hat einen goldenen Herbsttag versprochen. Und den wollen Stephan und ich nutzen, um zum ersten Mal den Blindsee-Trail bei Lermoos unter die Reifen zu nehmen. Wir sind beide Mittelklasse-Biker, die mit S2 auf der Singetrail-Skala zurechtkommen. Der Blindsee-Trail gilt als Klassiker, trotzdem sind die Vorab-Infos widersprüchlich. Die Einstufungen der Schwierigkeit reichen von S1 bis S3. Manche bezeichnen den seit 2015 offiziell als MTB-Singletrailfreigegebenen Weg als »flowig und nie wirklich schwierig«. Andere raunen ehrfurchtsvoll von verblocktem Geröll-Massaker à la Gardasee. Ich nehme mir vor, abzusteigen, wenn es zu schwierig wird. So ein gebrochenes Schlüsselbein passt einfach nicht mehr in mein Leben.

Ein paar sexy Testbikes haben wir schon im eBIKEplus-Fuhrpark. Ich habe mich für diese Tour für ein handliches und leichtes AllMountain mit 160 mm Federweg entschieden: das Simplon Steamer Carbon. Mit gerade mal 21 kg das richtige Gefährt, um spielerisch durch Steinpassagen oder über Wurzeln bergauf zu zirkeln. Stephan legt den Fokus auf die flotten Abwärtspassagen und wählt das Rotwild R.G.+ Ultra 36. Langer Radstand, massig Federweg. So verschieden können die Prioritäten auf demselben Trail ausfallen. Wir grinsen uns an und düsen von Augsburg nach Süden.

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Das frühe Aufstehen wird belohnt

Als wir kurz vor 8.00 Uhr in Lermoos an der Grubigsteinbahn ankommen, verscheucht die aufgehende Sonne langsam den Frühnebel. Die Zugspitze schält sich strahlend aus dem Dunst, ein wunderbarer Anblick. Fünf Grad, brrrrr. Aber ich will endlich biken. Mein Simplon scharrt auch schon mit den Hufen. Knieschützer in den Rucksack, Helm und Handschuhe an – und los.

Normalerweise nehmen Biker die Grubigsteinbahn, aber die Gondel nimmt erst später am Vormittag den Betrieb auf. Mit dem eMTB ist auch die Bergfahrt über die Serpentinenstraße stressfrei – und der Morgen umso schöner. Oben angekommen, reicht der Akku noch für eine Panorama-Runde über der Baumgrenze, bevor es auf den Trail geht. Ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.

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Der Trail startet sehr flowig

Nach einer kleinen Fotosession machen wir uns auf den Weg zum Trail-Einstieg. Der Wegweiser für den Fußweg zum Fernpass. Darunter ein Schild des DAV, das »Alpine Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit« einfordert. Oh Gott, das klingt ja fasst nach Klettersteig! Aber weit gefehlt: die Trail beginnt sehr flowig, durchweg S0 und S1. Es geht sehr verspielt in kurzem Auf und Ab durch den Bergwald. Dann ein kurzer Anstieg mit ein paar Uphill-Kehren, die aber gut zu meistern sind. Das Simplon fühlt sich auf diesem Geläuf sehr wohl. Das Rotwild gähnt etwas gelangweilt.

Kaum lichtet sich der Wald, verändert sich der Trail. Es wird steiler und technischer. Nun ist eine zentrale Aktivposition auf dem Bike gefragt. Trotzdem: So richtig schwierig ist das auch nicht, in diesem Abschnitt S1 bis leichtes S2. Alle Stufen sind durchweg überrollbar. Einzig die Erosionsfurchen mit ihrem losen Geröll brauchen etwas Konzentration. Weil es länger nicht geregnet hat, ist das staubige Geröll recht rutschig. Die Schwalbe Nobby Nic geben ihr Bestes, aber finden manchmal keinen guten Grip. Laufenlassen und Überrollen der Hindernisse ist besser als abbremsen und umfahren. Das Simplon Steamer Carbon funktioniert gut und agil auf diesem Trail. Sogar das Rotwild R.G.+ wird langsam wach.

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Langsam aber stetig wird es ruppiger

Der Trail entwickelt seine Choreografie: Er nimmt stetig und fast unmerklich an Schwierigkeit zu. Gleichzeitig belohnt er aber immer wieder mit der Überwindung kleiner Schlüsselstellen. So pusht der Trail einen weiter voran und schafft gleichzeitig Vertrauen ins eigene Können. Die Absätze werden höher, die Furchen tiefer und das Geröll grober. Ab und an gibt es natürliche S-Anlieger, durch die man immer lässiger hindurchsurft. Der Trail ist wie ein Lehrstück in Sachen positiver Lernkurve.

Nach einem Kreuz am Wegesrand, das zu einer Pause mit Blick auf den tief unten liegenden Blindsee einlädt, stoßen wir auf ein Hindernis, das niemand von uns überrollen kann. Die besagte S3-Stelle? Nein, ein gelber Bagger, mit dem der Weg hergerichtet wird.

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Der Wasserfall markiert die steilste Stelle

Kurz nach der Baumaschine kommt sie dann doch, die Schlüsselstelle. Ein Warnschild ermahnt abzusteigen. Die kurze Passage an einem Wasserfall ist steil, der Weg etwas ausgesetzt. Etwas lockeres Geröll auf Grundgestein. Doch der Trail ist trocken und gut einsehbar, also versuchen wir es. Klappt. Wer hier schiebt, dem fällt aber kein Zacken aus der Krone. Stephan und ich sind uns einig: eine S2-Stelle. Aber eher eine mittlere oder doch eine schwere S2-Stelle? Naja, über irgendwas muss man ja nachher beim Abschlussbier diskutieren.

Nach der Steilpassage am Wasserfall kommen wir zum Aussichtspunkt an der Spitzkehre. Auch hier machen wir Stopp und genießen die Aussicht auf den Blindsee unter uns, der immer mehr seine charakteristische Farbe annimmt, je höher die Sonne steigt. Unsere beiden Begleiter – das Simplon und das Rotwild – gönnen sich eine kurze Verschnaufpause. Am Gegenhang erkennen wir den Fernpass. Was nun folgt, sind viele flotte Tiefenmeter. Wir lassen die Bikes laufen. Im Steilflug geht es wieder über S1-Trails mit wenigen S2-Passagen sehr flowig hinab ins Tal. Das Rotwild fühl sich dabei etwas wohler als das Simplon. Noch ein paar Meter Forstweg, bis der Trail linkerhand zum Blindsee abknickt und es noch einmal jäh und unvermittelt sehr wurzelig und verblockt wird – was aber eine willkommene technische Abwechslung ist. Das Simplon schließt wieder zum Rotwild auf.

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Der Blindsee ist erreicht

Dann liegt er vor uns: der Blindsee, ein mystisch schimmernder Smaragd. Am Ufer treffen wir erstmals auf Wanderer. Es wird freundlich gegrüsst. Es ist fast schon ein Wunder, dass Biker in diesem Teil Österreichs nicht nur geduldet, sondern auf eigens ausgewiesenen Trails ausdrücklich willkommen sind. Trailetikette und ein wenig Höflichkeit lassen erst garkeine Spannungen zwischen Wanderern und Bikern aufkommen.

Zurück geht es über Forstwege und S1 Trails Richtung Lermoos. Vorbei an den Loisachquellen nach Biberwier und über den Wachtersteig zurück in leichtem auf und ab bis zum Ausgangspunkt unserer eMTB Tour beim Parkplatz an der Grubigbahn. Am Auto angekommen, ist es noch nicht einmal Mittag. Da könnte man ja gleich nochmal die Gondel nehmen und eine Runde drehen …

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Der Rundtour Lermoos – Grubigalm – Blindsee – Lermoos hat rund 700 Höhen- und ebensolche Tiefenmeter. Die Streckenlänge betrug 24 km, davon 7 km auf dem Blindseetrail. Der Blindseetrail gehört nicht zu den schwersten, aber zu den schönsten Trails, die ich bislang gefahren bin. Von München und Augsburg ein bequemer Tagesausflug, lohnt sich aber auch ein längeren Aufenthalt in der Region Zugspitz-Arena mit ihren vielen offiziellen Trails. 

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Karte, Streckenprofil und Infos zum Blindsee-Trail gibt es hier.

Die offizielle Seite der Tourismusregion Tiroler Zugspitz Arena
listet auch weitere Biketouren und bietet viele Infos.

Fotos: Michael Neumann
Text: Marc Burger
Fahrer: Stephan Glocker, Marc Burger
Bikes: Rotwild R.G.+, Simplon Steamer Carbon
Location: Lermoos, Tirol