»Ich suche mit dem eMTB wieder Grenzen. Die des Materials und die von mir.«

Christoph Malin

In den 90er Jahren hieß die Königsdisziplin im Mountainbiking »Freeriding«. Es definierte sich durch hohe Sprünge und schnelle Abfahrten auf extra angelegten Wettkampfstrecken in Kanada. Das faszinierte mich als langjähriger Bike Journalist – aber ich wollte doch lieber in meiner Heimat Innsbruck fahren. Also trommelte ich ein paar Freunde zusammen und wir erklommen mit Freeridern die Berge. Teils fahrend, teils tragend. Das Kriterium bergab war nicht Geschwindigkeit, sondern das Bewältigen höchster Schwierigkeitsgrade.

Gemeinsam erschlossen wir viele Trails rund um Innsbruck, Abenteuer Biken pur! Aber auch das Karwendel, die Lechtaler Alpen, die Ötztaler Alpen, Südtirol und die Region um den Gardasee waren vor uns nicht sicher. Wir nannten uns »Vertrider«. Ich war für die Öffentlichkeitsarbeit, Fotos, Film und Sponsoren zuständig, und gründete das Vertride Team.

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Der Berg und das Bike

Das war die Geburtsstunde des Vertriding. Nicht wenige Erstbefahrungen gehen auf unser Konto. Und die Entwicklung der bekannten Singletrail-Skala. Oder die Planung und Entwicklung des legendären Nordketten-Singletrail durch Teammitglied Christian »Picco« Piccolruaz. Eine der steilsten und anspruchsvollsten Bike-Strecken der Welt hoch über Innsbruck. Wir hatten damals Exoten-Status. Niemand verstand anfangs, was wir da machten. Aber die Bilder und Kurzfilme, die auf unseren Touren entstanden, strahlten eine neue Faszination aus. Die Bike-Industrie entdeckte ein neues Thema: das alpine Biken. Vertriding. Wir durften bei Entwicklung und Tests neuer Komponenten mithelfen, die extra für unseren technischen Fahrstil angepasst wurden. Freerider wurden leichter, Enduros waren am Horizont. In den aktuellen MTBs ist viel unserer damaligen Pionierarbeit enthalten. Wir lebten einige Jahre den Mountainbike-Traum, berieten Tourismusverbände beim Bau neuer Strecken, besuchten Festivals, Messen und MTB-Destinationen. Wir waren Alpin-Pioniere auf grobstolligen Rädern.

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Von Vollgas zu Stillstand

Dann erfolgte beruflich und privat im Jahr 2010 ein tiefer Einschnitt. Ich wurde zunehmend von Drehschwindelattacken, verursacht durch eine Innenohrerkrankung, geplagt. Wenn die Attacken kamen, drehte sich alles, der Boden schwankte, der Gleichgewichtssinn spielte verrückt, partieller Verlust räumlichen Sehens inklusive. Das alles ging so weit, dass ich nicht mehr Mountainbike fahren konnte, es war einfach zu gefährlich. Ich begab mich in Behandlung, kündigte schweren Herzens alle meine Bikejobs und kehrte dem Sport notgedrungen radikal den Rücken. Alles andere als einfach, und eine emotional belastende Zeit. Von 250 Tagen im Jahr am Bike auf null.

Gottseidank hatte ich als passionierter Landschaftsfotograf und Computer-Freak Jahre zuvor als Ausgleich und »ruhiges« Hobby die Landschafts-Astrofotografie in den Bergen und die Zeitraffer-Filmtechnik für mich entdeckt. Einige meiner Kurzfilme wurden internationale Hits. Ich arbeitete fortan für die Europäische Südsternwarte ESO, internationale Natur- und Werbefilmproduktionen buchten mich als Spezialisten für Lowlight Langzeit-Zeitraffer. Ich war international mit Filmteams unterwegs, doch das Leben in muffigen Hotels, Stress am Set, die langen Stunden in der Postproduktion und der vorherrschende ungesunde Lebenswandel in der Filmindustrie waren einfach nicht mein Ding. Die Innenohr-Therapie machte zwar Fortschritte, aber ich kam einfach nicht mehr dazu, mich regelmässig aufs Bike zu setzen. Trail-Koordination und Kondition waren weg, die Angst vor der nächsten Schwindel-Attacke war stets noch da.

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Die Rettung kam elektrisch

Im Jahr 2015 sah ich bei einem Freund im Stubaital ein E-Mountainbike. Ein Flyer Uproc 6 mit 160 mm Federweg. Die Entwicklung der eMTBs war bislang komplett an mir vorbeigegangen. Aber als Bike-Profi sah ich sofort seine alpintaugliche Geometrie und die technischen Details, wie z.B. die unterschiedlich großen Laufräder, die sich schon bei uns Vertridern in steilem Gelände bewährt hatten. Ich setzte mich auf das eBike, drehte eine Runde. Es fühlte sich an wie ein richtiges Mountainbike. Eine richtiges Enduro-Bike. Wow! Ich war buchstäblich elektrisiert, und lieh mir dieses eBike eine Woche lang aus – nach dieser einen Woche hatte sich mein Leben komplett geändert! Ich fuhr in diesen sieben Tagen so viel Mountainbike wie schon lange nicht mehr. Alte Lieblingstouren führten mich zu lieben Freunden auf den Hütten, die ich lange nicht gesehen hatte. Ich genoß Trails, Landschaft und Natur wie früher. Der Frust der letzten 5 Jahre fiel von mir ab. Es war wie eine Befreiung! Die Begegnung war folgenreich.

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Eine neue Leidenschaft

Ich wurde nach nur zwei Jahren auf dem eBike so fit wie lange nicht mehr und bin mit mehr Freude als je zuvor zurück in der Bike-Szene. Heute arbeite ich wieder als Journalist und Filmemacher und habe mit Bike-Designer Lutz Scheffer das »Electric-Mountain« Projekt gegründet, wo wir uns zu einem Teil unserer Zeit mit Entwicklung und Tests von eMTB-Komponenten und Zubehör für Hersteller befassen, sowie als Think Tank das eMTB ganzheitlich denken. Wir haben die besten Teststrecken der Welt vor der Haustür in Garmisch und Innsbruck! Ansonsten bin ich seit 2018 hauptberuflich Manager des Simplon eMTB Factory Teams. Mit meinem super Team aus Bergführern und Alpin Spezialisten haben wir damit die Idee des hochalpinen Mountainbikens wieder aufgenommen – auf Simplon eMTBs!

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Alte Wege – neu entdeckt

Natürlich ist die ursprüngliche Innsbrucker Vertrider Crew älter geworden. Wir haben alle Familien, die Zeit fürs Biken und fürs Training ist knapper geworden. Ein Enduro-Bike die Berge hochzutragen macht inzwischen weniger Spaß. Doch das eMTB kompensiert das – und schafft zusätzlich Neues: Viele unserer legendären Touren sind nun auch bergauf fahrbar. Auch mit einem eMTB ist das ist anspruchsvoll, anstrengend und ein hervorragendes Training. Zudem sind nun Tagestouren und Streckenlängen realisierbar, die früher nur durch Shutteln oder Seilbahnen möglich gewesen wären. Aber vor allem macht Bergauffahren mit dem eMTB das erste Mal genauso viel Freude wie das Bergabfahren. Es zählt nicht mehr nur wie früher das Bergabfahren. Uphill- und Downhill-Passagen halten sich an einem Trailtag die Waage, und das ist wirklich genial.

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Das eBike als Chance

Das eMTB ist in meinen Augen die größte Chance für den Mountainbike Sport. Nicht nur, weil es ein perfektes Trainigsgerät ist, mit dem jeder entscheiden kann, ob man einfach nur eine Genußtour nach Feierabend fahren möchte, oder ob man sich sportlich verausgaben will. Aber das Entscheidende: bislang gab es nicht viele Fürsprecher für uns. Alpines Mountainbiking ist nach wie vor eine Nischen-Sportart, genauso wie der Mountainbike-Sport als Ganzes viel zu elitär war. Das kann sich jedoch durch das eMTB ändern, denn das Hobby Mountainbiking wandelt sich damit insgesamt zu einem Breitensport. Das ändert die öffentliche Wahrnehmung und tut dem Sport und letztlich auch der Wirtschaft und dem Tourismus gut. Allerdings wird künftig dadurch auf populären MTB Strecken mehr Verkehr am Berg entstehen, daher braucht es in Zukunft Lösungen und verbesserte Infrastruktur. Die nächsten 30 Jahre am Bike bleiben für mich deshalb weiterhin spannend, da freue ich mich echt drauf.

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Der Spirit ist zurück

Vor zwei bis drei Jahren wurden wir auf unseren Touren öfters noch ziemlich blöd wegen unseren eMTBs angesprochen – die üblichen Pauschalsprüche. Das hat sich in Innsbruck seit letztem Jahr komplett geändert. Viele Analogbiker, die wir kennen und die uns kennen, haben verstanden, was mit E-Enduros geht, und sie wissen: Wenn die Pioniere des Alpinbikens so fanatisch eBiken, dann muss was dran sein. Aktuell fahren viele in der Enduro-Szene noch keine eMTBs, aber liebäugeln schon sehr damit. Ich spüre: Die Akzeptanz ist viel größer geworden. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Für mich privat hat sich durch das eBike sowieso vieles verändert: Mit dem eMTB ist wieder ein wunderbares Stück Lebensqualität zurückgekehrt. Auch wenn meine krankheitsbedingte Auszeit vom biken ein großes Stück Lebensefahrung waren und ich in der Zeit viele interessante Film- und Fotoprojekte machen durfte: Die Berge sind endlich wieder Teil meines Lebens. 

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Mehr über Christoph erfährst Du auf seiner Website (Bild anklicken):

 


 

Das Gespräch mit Christoph Malin führte Marc Burger.

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